[…]Der Menschenrechtsanwalt Dr. David Schneider-Addae-Mensah ist in Strasbourg und Karlsruhe tätig. Er war Kläger in einem wegweisenden Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht, das am 23. März 2011 den Beschluß faßte, daß die Zwangsbehandlung psychiatrisierter Menschen unvereinbar mit der Verfassung und geltenden Gesetzen sei.
Auf der Konferenz “Psychiatrie ohne Zwang – Was ist das?” am 22./23. November 2013 in der Universität Essen leitete Dr. Schneider-Addae-Mensah den Workshop “Recht und Unrecht der psychiatrischen Zwangsbehandlung” und hielt einen Vortrag mit dem Thema “Der Zwangsmedikationsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts und seine Bedeutung”. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.[…]
Auszüge:
[…]DS: Ja, es gibt entsprechende Initiativen wie den Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, die schon durch diese Diskussion Rückenwind bekommen haben. Diese Initiativen sind selbstverständlich wichtig, weil sie die Patienten in ihrem Selbstbewußtsein stärken. Natürlich muß der Patient im Mittelpunkt stehen. Er entscheidet, ob eine Behandlung durchgeführt wird oder nicht, und sonst niemand. Es war eine Fehlentwicklung, daß die Ärzte geglaubt haben, sie könnten über andere entscheiden. Das ist nicht die Aufgabe der Ärzte. Ein Arzt, der so etwas macht, ist kein guter Arzt.
SB: Demnach steht die Selbstbestimmung des Patienten im Mittelpunkt Ihres Anliegens.
DS: Die Selbstbestimmung des Patienten steht immer im Mittelpunkt des Geschehens. Auch ich kann dem Patienten die Entscheidung nicht abnehmen. Es gibt durchaus Leute, die mich fragen: Soll ich mich medikamentieren lassen oder nicht? Darauf antworte ich: Die Entscheidung kann ich Ihnen nicht abnehmen. Das ist auch für die Patienten eine Herausforderung, weil sie sich nämlich daran gewöhnt haben, daß jemand für sie entscheidet. So müssen sie plötzlich selbst Verantwortung übernehmen. Da fordere ich von den Patienten tatsächlich mehr Eigenverantwortung. Sie können sie nicht auf die Ärzte abschieben.
SB: Haben Sie hinsichtlich der Zwangsbehandlung noch weitere juristische Projekte im Auge?
DS: Die nächsten konkreten Schritte müssen darauf abzielen, die jetzigen Rechtsgrundlagen für die Zwangsbehandlung im BGB wieder zu kippen. Auch die Neuregelungen in Baden-Württemberg müssen gekippt und weitere Neuregelungen möglichst verhindert werden. Mir persönlich liegt vor allem die Frage am Herzen, ob man bei akuten angeblichen Anfällen zwangsbehandeln darf oder nicht. Häufig sind es reine Wutanfälle, die manchmal etwas heftig ausfallen, aber dennoch handelt es sich dabei um keine psychotischen Ereignisse, als die sie häufig dargestellt werden. Ich würde mir wünschen, daß die Zwangsbehandlung in diesen sogenannten Akutsituationen verboten wird.
SB: Sie erwähnten im Vortrag auch, daß viele Verhaltensweisen, die früher unter normal bis leicht schräg liefen, heute psychiatrisiert werden. Handelt es sich dabei um eine fortschreitende Entwicklung?
DS: Ja, das stelle ich in der Tat fest. Wenn Leute früher schreiend durch die Straßen gelaufen sind, hat man gesagt, nun gut, der spinnt eben oder ist ein ganz armer Teufel. Damit war das auch abgehandelt. Jetzt wird die Polizei gerufen, und die Polizisten bringen die Leute in die nächste Psychiatrie. Dann nimmt die Geschichte ihren Anfang. Viele dieser Menschen liegen heute auf dem Friedhof.
SB: Herr Dr. Schneider-Addae-Mensah, vielen Dank für dieses Gespräch.[…]