OLG Celle Urteil gegen Zwangsbehandlung
www.zwangspsychiatrie.de zum Thema Zwangsbehandlung
Bundesverfassungsgericht verbietet Zwangsbehandlung in der Forensik
Quelle: http://www.die-bpe.de
(Freitag, 15. April, 2011)
Heute morgen hat das Bundesverfassungsgericht seine lang erwartete
Entscheidung bekannt gegeben, ob Zwangsbehandlung in der Forensik
zulässig ist oder nicht – Zitat:
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass §
6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. [Zwangsbehandlung] mit dem Grundrecht
auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in
Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19
Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist.
Das ist ein einschneidendes und wegweisendes Urteil, vollständig
nachzulesen hier: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110323_2bvr088209.html
Unten die Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts dazu:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-028.html
Für dieses Verfahren hat RA Scharmer ein Rechtsgutachten angefertigt,
in dem umfangreich und detailliert, insbesondere auch mit Hilfe der
Behindertenrechtskonventionen, argumentiert wird, warum diese Urteil
nur so gefällt werden kann.
Das Gutachten ist hier veröffentlicht: http://www.die-bpe.de/forensik
Da mit diesem Urteil die Zwangsbehandlung in der Forensik erfolgreich
zu Fall gebracht werden konnte, ist nun zu erwarten, dass alle
Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie mit dem Grundgesetz, dem Recht
auf körperliche Unversehrtheit, unvereinbar sind und dann jede
psychiatrische Zwangseinweisung nur noch Knast ist, für den KEINE
Krankenversicherung mehr zahlen wird.
Das ist eine Mitteilung der
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
http://www.die-bpe.de
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Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –
Pressemitteilung Nr. 28/2011 vom 15. April 2011 2 BvR 882/09
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug
Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung zur Erreichung des
Vollzugsziels – Rheinland-pfälzische gesetzliche Regelung
verfassungswidrig
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1999 aufgrund einer
Verurteilung wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Gewalttaten im
Maßregelvollzug. Die Maßregelvollzugsklinik kündigte ihm schriftlich
die Behandlung „mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch
gegen Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird“, an. Den hiergegen
gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung
wies das Landgericht mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise
medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen
Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei. Die hiergegen gerichtete
Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des rheinland-pfälzischen
Maßregelvollzugsgesetzes (MVollzG Rh.-Pf.) sind operative Eingriffe,
Behandlungen und Untersuchungen des Untergebrachten nur mit seiner
Einwilligung zulässig, wenn sie mit einem wesentlichen
gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten
verbunden sind; sonstige operative Eingriffe, Behandlungen und
Untersuchungen sind ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten
zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die
Gesundheit des untergebrachten Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit
anderer Personen. Ferner bestimmt der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage
herangezogene § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. in seinem ersten
Halbsatz, dass im Übrigen Behandlungen und Untersuchungen zur
Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten
durchgeführt werden können.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden,
dass § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. mit dem Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG
unvereinbar und nichtig ist. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts wurden
aufgehoben, da sie mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage für
die angekündigte Zwangsbehandlung den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen dessen
natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in besonders
schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein.
Dem Gesetzgeber ist es nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe
zuzulassen. Dies gilt auch für eine Behandlung, die der Erreichung des
Vollzugsziels dient, also darauf gerichtet ist, den Untergebrachten
entlassungsfähig zu machen. Zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs
kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des
Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 GG) geeignet sein, sofern der
Untergebrachte zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die
Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher
Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Soweit unter dieser
Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis zur Zwangsbehandlung
anzuerkennen ist, eröffnet dies keine „Vernunfthoheit“ staatlicher
Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein
deshalb beiseite gesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen
Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint.
Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie
im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt,
Erfolg versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden
sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Sie
dürfen nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Eine weniger eingreifende
Behandlung muss aussichtslos erscheinen. Der Zwangsbehandlung muss,
soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, unabhängig von seiner
Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der ernsthafte, mit dem nötigen
Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch
vorausgegangen sein, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung des
Untergebrachten zu erreichen.
Der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte ist zudem zur
Wahrung seiner Grundrechte in besonders hohem Maße auf
verfahrensrechtliche Sicherungen angewiesen. Jedenfalls bei
planmäßigen Behandlungen ist eine hinreichend konkrete Ankündigung erforderlich,
die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig Rechtsschutz zu
suchen. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit unabdingbar ist die
Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch
einen Arzt. Zur Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes und der
Verhältnismäßigkeit ist es geboten, gegen den Willen des Untergebrachten
ergriffene Behandlungsmaßnahmen eingehend zu dokumentieren.
Im Hinblick auf die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen,
denen der Untergebrachte ausgesetzt ist, muss darüber hinaus sichergestellt
werden, dass der Durchführung einer Zwangsbehandlung zur Erreichung
des Vollzugsziels eine Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der
Unterbringungseinrichtung vorausgeht. Die Ausgestaltung der Art und
Weise, in der dies geschieht, ist Sache des Gesetzgebers.
Die wesentlichen materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen des
Eingriffs bedürfen gesetzlicher Regelung.
Die Eingriffsermächtigung des § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf.
genügt, auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des rheinland-pfälzischen
Maßregelvollzugsgesetzes, diesen Anforderungen nicht. Insbesondere
fehlt es an der gesetzlichen Regelung des unabdingbaren Erfordernisses
krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit. Auch eine Reihe
weiterer für den Grundrechtsschutz wesentlicher Eingriffsvoraussetzungen ist
nicht oder nur unzureichend geregelt.