Transcription:
Als ich jung war, waren wir diese altmodischen Linken.
Wir dachten, die Mächtigen hätten wenigstens ein Mindestmaß an Würde.
Aber wir – wir machten obszöne Gesten, sprachen vulgär, provozierten bewusst.
Und die Antwort, die wir bekamen, war:
Die da oben sind noch viel obszöner, als wir es je gewagt hätten zu sein.
Wir haben uns völlig getäuscht.
Bei den letzten Wahlen wurde das besonders deutlich:
Die Demokraten lernen einfach nichts.
Das ist kein Scherz – ich meine das ernst.
Ich fühle mich geehrt, hier zu sein, und ich versuche, mich kurz zu fassen, auch wenn ich dazu neige, zu viel zu reden.
Was ich heute sage, sind nur ein paar einleitende Gedanken – ein Versuch, zu erklären:
Wo stehen wir heute?
Ich spiele gerne mit Begriffen aus der Quantenmechanik,
aber was mich wirklich interessiert, ist:
Wie kann man Konzepte wie Superposition oder Kollaps auf soziale Ereignisse und Geschichte anwenden?
Ich selbst bin in gewisser Weise immer noch ein radikaler Linker.
Aber ich bezeichne mich heute offiziell als moderat-konservativen Kommunisten.
Warum?
Weil ich glaube, dass wir uns von zwei Illusionen verabschieden müssen:
- vom liberalen Traum, dass die Geschichte in Richtung Demokratie und Fortschritt tendiert,
- und vom marxistischen Determinismus, dass Kommunismus unausweichlich sei.
Selbst Rosa Luxemburg – die sagte:
„Die Zukunft wird entweder Sozialismus oder Barbarei sein.“
Aber sie irrte. Der Stalinismus hat uns beides gleichzeitig gegeben.
In der Quantenmechanik bedeutet Superposition:
Ein Teilchen bewegt sich von Punkt A nach B – aber in Wirklichkeit durchläuft es alle möglichen Wege gleichzeitig, bis es in einem Zustand kollabiert.
Und genau das, denke ich, erleben wir heute geschichtlich.
Wir stehen an einem Punkt, an dem viele mögliche Zukünfte existieren.
- Vielleicht eine neue Form des Sozialismus.
- Vielleicht neue Barbarei mit Inseln der Zivilisation.
- Vielleicht – und das ist meine traurige Prognose – eine Form des weichen Faschismus.
Was meine ich damit?
Kein offener Nazismus. Kein offenes Töten.
Sondern eine Bewegung, die ich eine konservative Revolution nenne:
- Sie will die Dynamik des Kapitalismus nutzen,
- aber gleichzeitig weiß sie: Lässt man den Kapitalismus ungezügelt laufen, endet das in sozialem Zerfall.
Die Lösung?
Ein starker Staat, der den Kapitalismus kontrolliert
und sich durch eine erfundene oder re-traditionalisierte Ideologie legitimiert.
Ein Beispiel dafür – und bitte seid nicht beleidigt – ist: China.
Xi Jinping sagte kürzlich in einer Rede:
„Unsere Jugend ist ideologisch nicht genug geschult.“
Ich dachte, er würde sagen: „Lest mehr Marx.“
Aber nein – er sagte: „Wir brauchen die konfuzianische Tradition.“
Auch Modi in Indien verfolgt diese Linie:
Brutaler Kapitalismus, verpackt in religiös-nationalistische Ideologie.
Das, so glaube ich, ist die wahrscheinlichste Zukunft für einen Großteil der Welt.
Nicht die Revolution.
Nicht die Befreiung.
Sondern: autoritärer Kapitalismus mit konservativer Ideologie.
Und das zweite große Problem:
Immer mehr Länder werden zu dem, was man gescheiterte Staaten oder Rogue States nennt.
Aber ich meine das nicht im westlich-imperialistischen Sinn.
Meine Definition ist einfach:
Ein Rogue State ist ein Staat, der sich nicht mehr legal im eigenen ideologischen Rahmen stabilisieren kann
– und deshalb auf brutale, illegale Gewalt angewiesen ist.
Beispiele?
- Haiti: 80 % des Landes werden von Gangs kontrolliert.
- Russland: Die Wagner-Gruppe – offiziell „privat“, aber komplett staatlich finanziert.
- Israel: Die radikalen Siedler verstoßen gegen israelisches Recht – und sind heute Minister.
- USA: Trump arbeitet mit Gruppen wie den Proud Boys. Er hält sie auf Abstand, aber instrumentalisiert sie.
Was bedeutet das alles?
Dass wir in einer radikal offenen Gegenwart leben.
Es ist nicht vorherbestimmt, wie die Dinge ausgehen werden.
Wir wissen nur: So wie es ist, kann es nicht weitergehen.
Wir stehen vor einem historischen Kollaps in einen einzigen realen Zustand –
aber welcher das sein wird, wissen wir nicht.
Ich würde gern tiefer auf Hegels Idee der Rückwirkung eingehen:
Erst wenn etwas passiert, verändert es rückwirkend die Bedeutung der Vergangenheit.
Nicht faktisch, aber narrativ.
Marx hatte das auch erkannt.
Er schrieb:
„So wie die Anatomie des Menschen der Schlüssel zur Anatomie des Affen ist,
ist der Kapitalismus der Schlüssel zur Deutung aller früheren Gesellschaften.“
Das heißt nicht, dass alles auf Kapitalismus hinauslief,
sondern: Nachdem der Kapitalismus siegte, lesen wir die Geschichte rückwirkend um.
Deshalb mag ich Denker wie David Graeber,
die zeigen: In früheren Gesellschaften – etwa bei den Inka –
gab es nicht nur Kinderopfer, sondern auch demokratische Elemente.
Was nicht passiert ist, verschwindet nicht.
Es bleibt erhalten –
- entweder als reaktionäre Sehnsucht,
- oder als utopisches Potenzial.
Und so kommen wir zum Thema: Künstliche Intelligenz.
Die Frage, ob KI wirklich denken kann, wird oft falsch gestellt.
Warum fragen wir immer:
„Wird sie denken wie wir?“
Was, wenn sie ganz anders denkt? Vielleicht sogar mit eigener Spiritualität?
Aber zwei Dinge – glaube ich – wird KI nie können:
1. Bedeutungslose Rituale
Ich zum Beispiel:
Jedes Mal nach dem Händewaschen, selbst wenn kein Wasser mehr fließt, prüfe ich mit der Hand, ob nicht doch noch etwas kommt.
Oder Agatha Christie: Jeden Abend ein Apfel in der Badewanne.
Das ist reiner Unsinn – aber genau das ist der Sinn.
Es sind Erscheinungen von Bedeutung ohne Bedeutung,
die uns helfen, die Sinnlosigkeit des Lebens zu überdecken.
2. Fluchen
KI kann viel.
Aber fluchen kann sie nicht – zumindest nicht wirklich.
Denn fluchen heißt nicht nur „Scheiße“ sagen.
Fluchen ist ein Ausdruck dafür, dass wir Menschen im Sprachsystem leben,
aber darin nie ganz zuhause sind.
Wenn wir fluchen, sagen wir oft:
„Ich kann das nicht mal in Worte fassen!“
Diese Verlegenheit vor dem eigenen Sprachverlust –
das ist zutiefst menschlich.
Und jetzt ein letzter, trauriger Punkt:
Der Verlust von Scham.
Dinge, die noch vor zehn Jahren undenkbar waren,
werden heute öffentlich gesagt – ohne Konsequenzen.
Nicht nur Trump oder Boris Johnson.
Auch in Israel geschehen Dinge, die mich erschüttern.
Ein Beispiel:
In einem Gefängnis südlich von Jerusalem wurden Hamas-Häftlinge brutal misshandelt –
Metallstangen mit Nadeln wurden ihnen in den Enddarm gestoßen. Viele starben an inneren Blutungen.
Und die Reaktion in der Knesset war:
„Es ist eine Schande, dass unsere Gefängniswärter dafür verhaftet wurden.“
Der Ton war:
„Hamas-Mitglieder sind keine Menschen. Wir können mit ihnen machen, was wir wollen.“
Noch ein Beispiel:
Ein israelischer Soldat, Elan Mrai, wurde beauftragt,
mit einem Bulldozer über Hunderte Menschen zu fahren – tot oder lebendig.
Er kam zurück – und beging Selbstmord.
Nicht aus Schwäche, sondern offenbar,
weil er noch ein Rest von Anstand in sich hatte.
Aber die Reaktion der Armee war:
„Wir müssen Soldaten besser trainieren – damit sie keine ethischen Zweifel mehr haben.“
Das ist das Ende.
Das ist der Sieg der Schamlosigkeit.
Ich schließe mit einem Zitat von Lacan:
1969, nach den Studentenprotesten, sagte er:
„Was euch fehlt, ist Scham.“
Psychoanalyse ist heute nicht dazu da,
uns von inneren Zwängen zu befreien,
sondern um uns wieder zur Scham zu erziehen.
Denn in der Perversion – das wusste schon Freud –
ist das Unbewusste am stärksten unterdrückt.
Wirkliche Veränderung kommt durch Hysterie,
nicht durch Perversion.
Also – meine Lehre ist:
Wir lagen falsch.
Die Mächtigen sind viel vulgärer, als wir es je waren.
Und Trump hat nicht verloren, weil er gelogen hat.
Die Leute liebten ihn gerade deshalb.
Die echte Frage heute lautet:
Wie bringen wir die Scham zurück in unsere Kultur?
Danke.
Aber die Wahrheit ist:
Wir leben in einer Zeit, in der alle abgestumpft sind –
vom täglichen Terror, der bis in die Kinderstuben
und in unser privatestes Inneres vordringt – jeden Tag.
Wenn wir keine Scham und keine Empathie mehr kennen,
wird es auch keinen Widerstand mehr geben.
Nein – nur Schafe, die ihre Metzger selbst wählen,
die sich also aussuchen, wie gravierend sie geknechtet werden.
Und viele wählen lieber den schlimmsten Metzger –
weil sie glauben:
Dann ist es wenigstens schneller vorbei.
Anscheinend können viele heute nur noch wählen
zwischen dem erweiterten Suizid durch psychopathische Metzger
und dem eigenen Suizid.
Dabei müssten wir nur eines tun:
Einfach mal den Fernseher und das Handy ausschalten –
ab und zu zumindest –
und uns den kleinen Kindern widmen,
bevor sie zu denselben Psychopathen werden wie wir.
Denn die Generationen der Erwachsenen sind bereits verloren.
Wenn die Menschenheit eine Zukunft haben will, muss sie sich dieser auch widmen.